Der Sommer in dir
- Thomas Kalkus-Promitzer
- 31. März
- 4 Min. Lesezeit
Das Leben ist eine Abfolge von Jahreszeiten. Es gibt die Zeiten der Blüte, in denen alles leicht scheint, in denen die Wärme des Lebens unsere Haut streichelt und jeder Tag voller Möglichkeiten liegt. Und es gibt den Winter – die Phasen, in denen uns die Welt kalt und abweisend erscheint, in denen jeder Schritt durch den tiefen Schnee der Herausforderungen mühsam ist. In diesen Momenten neigen wir dazu zu vergessen, dass auch der Winter seinen Zweck hat. Dass unter der scheinbaren Starre neues Leben vorbereitet wird. Dass jeder Baum, der seine Blätter verloren hat, nicht tot ist, sondern nur ruht, seine Kraft sammelt für den kommenden Frühling.
Wir alle erleben solche Winter. Sie kommen in Form von Verlusten, Enttäuschungen, Einsamkeit oder Krisen, die uns den Atem rauben. Wenn das Leben seine Eiseskälte zeigt, ist es leicht zu glauben, dass die Dunkelheit für immer bleibt. Doch genau dann ist der Moment gekommen, in dem wir uns erinnern müssen: Die Kälte definiert nicht unser Wesen. Unsere Essenz ist nicht der Winter, sondern der Sommer, der in uns wohnt. Ein Sommer, der aus Hoffnung besteht, aus Resilienz, aus dem unerschütterlichen Glauben daran, dass die Sonne wieder scheinen wird. Denn egal, wie tief die Nacht ist – der Morgen kommt gewiss.
Albert Camus formulierte es einst treffend: „Mitten im tiefsten Winter wurde mir endlich bewusst, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt.“ Dieses Zitat ist weit mehr als eine poetische Floskel. Es ist ein inneres Versprechen, eine Erinnerung daran, dass selbst in den dunkelsten Momenten unseres Lebens eine unerschütterliche Kraft in uns wohnt. Diese Kraft trägt uns durch Kälte, Dunkelheit und Stürme – wenn wir sie erkennen und annehmen. Denn tief in uns lodert ein Feuer, das keine äußere Kälte ersticken kann.
Der unbesiegbare Sommer ist unsere innere Stärke, unsere Fähigkeit, uns selbst in der schwersten Zeit aufrecht zu halten. Er zeigt sich, wenn wir in der Dunkelheit eine Kerze anzünden, anstatt die Hände resigniert in den Schoß zu legen. Wenn wir nach einem Sturz aufstehen, uns den Schnee von den Schultern klopfen und weitergehen. Wenn wir uns weigern, uns von der Kälte erstarren zu lassen, sondern beschließen, unsere eigene Wärme zu entfachen. Dieser Sommer ist unbesiegbar, weil er nicht von äußeren Umständen abhängt. Er entsteht aus uns selbst heraus.
Doch wie genau entfacht man diesen inneren Sommer? Wie gelingt es, in der dunkelsten Jahreszeit Licht zu finden? Es beginnt mit einer Entscheidung. Der Entscheidung, die eigenen Gedanken bewusst zu lenken, nicht auf das zu fokussieren, was fehlt, sondern auf das, was bleibt. Die Perspektive zu ändern ist wie ein erster Sonnenstrahl nach einem langen Winter – er allein reicht nicht aus, um alles zu erwärmen, doch er kündigt an, dass die Kälte nicht ewig währt.
Es ist auch die Fähigkeit, sich selbst Trost zu spenden, sich selbst die Hand zu reichen, anstatt nur auf Rettung von außen zu warten. Ein Baum überlebt den Winter nicht, weil jemand ihm sagt, dass er durchhalten soll – er überlebt, weil er tief verwurzelt ist. Genauso müssen wir unsere eigenen Wurzeln pflegen: Freundschaften, Erinnerungen, Werte, die uns tragen, wenn die Stürme des Lebens toben. Jeder Mensch trägt diese Wurzeln in sich. Sie geben Halt, auch wenn der Wind des Lebens rau weht.
Es ist die Kunst, sich selbst kleine Lichtblicke zu schaffen. Ein gutes Buch, ein Spaziergang an der frischen Luft, eine Melodie, die Hoffnung schenkt – all das sind Funken, die das Feuer in uns nähren. Wir neigen dazu, auf große Veränderungen zu warten, auf den einen Moment, der alles besser macht. Doch oft sind es die kleinen Schritte, die uns durch den Winter tragen. Jeder Funke zählt.
Du trägst diesen Sommer in dir. Auch wenn er manchmal verborgen scheint, wenn er von Eis und Dunkelheit umhüllt ist – er ist da. Und er ist nicht zerbrechlich, sondern kraftvoll. Du hast ihn vielleicht in den Momenten gespürt, in denen du trotz aller Zweifel weitergegangen bist. In denen du mit einem Funken Hoffnung einen neuen Tag begonnen hast. In denen du nicht aufgegeben hast, obwohl es leichter gewesen wäre, sich der Schwere hinzugeben. Dieser Sommer lebt in dir, unabhängig davon, was im Außen geschieht.
Das Leben wird dich immer wieder herausfordern. Es wird Winter geben, in denen der Schnee so hoch liegt, dass du glaubst, keinen Schritt weitergehen zu können. Doch genau dann ist es an der Zeit, dich zu erinnern: Der Sommer in dir wartet nur darauf, dass du ihn wieder zum Leben erweckst. Er ist unbesiegbar, weil er nicht durch äußere Umstände zerstört werden kann. Weil er aus deiner inneren Kraft besteht, aus deinem Glauben an das Leben selbst.
Und so kannst du, selbst in den kältesten Nächten, den Blick heben und wissen: Die Sonne wird wieder scheinen. Und wenn du sie nicht am Himmel siehst, dann lass sie aus dir selbst heraus strahlen. Denn du bist stärker, als du denkst. Du bist der Sommer, auch mitten im tiefsten Winter. Und jedes Mal, wenn du glaubst, die Kälte würde dich lähmen, erinnere dich daran, dass deine innere Wärme alles überstrahlen kann. Du bist das Licht, das nie ganz erlischt, du bist die Flamme, die auch im Sturm weiterbrennt. Halte sie am Leben. Denn solange du sie bewahrst, kann kein Winter dich besiegen.
© Thomas Kalkus-Promitzer, 2025